Michael Gumhold
feat. The Sculpture Group˚
13.01.2010 — 20.02.2010
Michael Gumhold
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Cut’n’Mix – Michael Gumholds visueller Nachhall des Akustischen
by Günther Holler-Schuster

Üblich ist, dass wir Musik akustisch wahrnehmen und bildende Kunst visuell erfassen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich das radikal verändert. Die Moderne hat, ihrem zentralen Anliegen nach ständiger Veränderung und Erneuerung folgend, diese Konventionen aufgehoben. Dada, die Futuristen und Surrealisten haben in ihren Aufführungen bewusst Visuelles mit Akustischem und Performativem verbunden. Wahrnehmungsmuster konventioneller Art unterzog man dabei unterschiedlichen Veränderungen. Bewegung wurde in die Dreidimensionalität der Skulptur integriert, technische Geräte meist industrieller Herkunft trugen zur Erweiterung der künstlerischen Medien bei. Das kann vom „Roue de bicyclette“, 1913 oder den „Rotoreliefs“, 1935 von Duchamp bis zu Russolos Geräuschmusik, 1916 reichen. Sie alle erweiterten den jeweiligen Bereich ihrer ursprünglichen Herkunft um wesentliche Dimensionen. Außerdem hatte man bereits damals den menschlichen Körper mit seinen organischen Bedingtheiten analytisch in die Kunst einzubringen versucht. Kunst als zeitlicher Ablauf, als eine Struktur, die sich vor den Augen bzw. Ohren des Publikums veränderte, wurde plötzlich zum wesentlichen Parameter. Ein wesentliches Element der klassischen Kunstauffassung wurde damit verlassen.
Das alles gehört der Vorvergangenheit an, ist gleichsam das Grundfundament, auf das sich auch heutige Kunst oft bezieht. Michael Gumholds Kunst, die vom Begriff der Skulptur ausgeht, ist vielfach mit Bezügen ausgestattet, die in diese Vorgeschichte zurückreichen. Als Künstler, der in den 1970er Jahren geboren wurde, trifft Gumhold auf eine Zeit, in der man die Errungenschaften der Avantgarde bereits verinnerlicht hat und subkulturelle Revolutionen wie die Rockmusik längst kommerzialisiert wurden. Dan Graham weist noch in den frühen 1980er Jahren darauf hin, dass die Moderne tot sei und ab nun die Rockmusik die Aufgaben der bildenden Kunst übernehmen werde. Wenn man sich vor Augen führt, was sich auf den internationalen Rockbühnen getan hat, wird man die Parallelen zur bildenden Kunst nachvollziehen können. Nicht nur im performativen Charakter der Musik, sondern auch in den Lifestyle-Attitüden der Popkultur findet sich genug Potential, das in der bildenden Kunst transformiert oder direkt zur Anwendung kommt. Gumhold war nie Musiker, obwohl man ihn in seinem Video „o.T. (-273,15° Celsius:Garage:Rehearsal #2)“ von 2005 mit einem E-Bass umgehängt an einem Verstärker manipulieren sieht. Zweifellos eine bedeutungsschwere Geste; wenn man je Rockshows besucht hat, weiß man, wie sehr das Manipulieren an der Gerätschaft zum Aufführungsritual gehört. Man muss den Akteur nicht hören, um zu wissen, dass das jetzt „for those about to rock“ sein muss. Selbst angesichts des menschenleeren Stage-Sets und der zuckenden Bühnenbeleuchtung, die noch rasch vor der Show getestet wird, fühlt man sich magisch angezogen. Da ist noch keinerlei Aktion und kein Sound wahrzunehmen, allein der visuelle Aspekt führt schon nahe ans Geschehen heran. Now appearing: The Sculpture Group. Gumholds Installationen erinnern häufig an Bühnenaufbauten. Die Objekte zitieren oft das gebräuchliche Instrumentarium (Mikrofone, Schlaginstrumente, Verstärkerboxen, Tonträger etc.). Das Performative ist latent vorhanden. Das Visuelle appelliert an das Akustische, das Statische an das Dynamische. Im Zeitalter der Postmedialität werden dabei selbstverständlich die unterschiedlichsten Medien (Skulptur, Objekt, Malerei, Zeichnung, Installation, Video, Literatur und Musik) in Bezug zueinander eingesetzt. Wie sonst könnten plötzlich Carl Andre und Michael Jackson aufeinandertreffen? Eine Papierarbeit mit den Worten „Moonwalk a Carl Andre Floor Piece“ aus der Serie „o.T. (minimal movement series)“ von 2007 gibt Aufschluss. Die Bodenarbeiten von Carl Andre waren dazu gedacht, sie nicht nur visuell wahrzunehmen, sondern auf den Metallplatten zu gehen. Es war dem Künstler daran gelegen, auf den feinen Unterschied hinzuweisen, der besteht, wenn man sich auf einem Untergrund aus Blei oder auf einem aus Kupfer bewegt. Andre verglich das mit einer Straße, auf der man sich in erster Linie fortbewegt und sie visuell nur bedingt wahrnimmt. Michael Jackson seinerseits hat mit einer speziellen Tanzart – dem Moonwalk – die Schwerelosigkeit thematisiert, die man von Astronauten kennt, die sich am Mond schreitend langsam fortbewegen. Reste von Mystizismen, die zweifellos sowohl in der Minimal Art als auch in der Popmusik enthalten sind, verbinden sich hier zu einem verblüffenden Hybrid aus Skulptur, Performance und Musik. Obwohl keines davon in direkter Form vorhanden ist, werden sie alle sofort zugänglich.
1952 wurde John Cages Stück 4’33’’ uraufgeführt. Es ging dabei vordergründig um Stille und um die Performance des Pianisten, der dieses Stück aufführte – er bewegte den Deckel des Klaviers, um die Satzwechsel anzuzeigen. Eigentlich ging es Cage um die Unmöglichkeit, vollkommene Stille zu erzeugen. Selbst in akustisch isolierten Räumen, in denen dieses Stück auch zur Aufführung gelangte, waren zumindest die Geräusche des Akteurs – seine organischen Bedingtheiten – zu vernehmen. Diese vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden sollten zum Wichtigsten gehören, was die Nachkriegsavantgarde hervorbrachte. Letztlich bleibt der Nachhall noch lange im Ohr, wenn der Sound verstummt. Das ist auch der Moment, in dem das Performative, das Objekthafte ins Spiel kommen. Im Kontext der Musik konnte plötzlich ohne akustisches Signal mit Instrumenten hantiert werden. Musik ohne Sound war hier genauso möglich wie Film ohne Celluloid im „Expanded Cinema“ der 1960er Jahre. Die Bedingungen, die zur Musik führten (Instrumente, Musiker, Bühne etc.) waren plötzlich im Zentrum des Interesses. Die Minimal Music hat zwar noch Töne vorgesehen, jedoch in reduzierter Form mit hohem Performancecharakter. Ein Foto aus dem Jahre 1963 zeigt La Monte Young im Schneidersitz mit dunkler Sonnenbrille, schwarzem Hemd, engen Jeans vor einem Baum sitzend und ein Sopraninosaxophon spielend. Hinter seinem Kopf steckt eine Axt im Baumstamm und Flaschen hängen von den Zweigen. Michael Gumhold präsentiert sich in einem Foto – „o.T. (Kadavergehorsam)“, 2006 – mit schwarzer Augenschminke (à la Alice Cooper) und einem mit Nägeln besetzten Baseballschläger in gewaltbereiter Pose. Der Schläger war in einer anderen Installation vom Künstler als Mikrofonzitat eingesetzt – Multifunktionalität des Objekts. Der Bezug zur Musik (Blackmetal) zeigt sich in der Pose und im Objekthaften des Musikinstruments. La Monte Young, als früher Fluxus- und Minimalprotagonist, nannte seine Performancegruppe „The Theatre of Eternal Music“. Dabei wirkten sowohl Musiker wie John Cale mit, als auch bildende Künstler wie Walter de Maria oder Henry Flynt. Tony Conrad, der wie La Monte zwischen den Disziplinen bildende Kunst und Musik stand, verdichtete das Konzept. La Monte Youngs Gruppe veröffentlichte 1964 den „Sunday Morning Blues“ – eine sich ständig wiederholende tranceartige Minimalstruktur. John Cale und Tony Conrad erzeugten dabei einen sägenden, dröhnenden Sound, der an Noisestrukturen (Drone) erinnert, wie sie bis heute in unterschiedlicher Weise zum Einsatz kommen. Musik wird, ähnlich wie in diversen Ritualzusammenhängen, psychisch wie vor allem physisch erlebbar. Der Sound bekommt Eigenschaften, die eher von festen Aggregatzuständen bekannt sind. „The Sculpture Group“ ist konsequenterweise ein installatives, sich ständig variierendes Ensemble, das nie zu spielen beginnt, jedoch trotzdem auftritt. Gemeint sind dabei die Gruppierungen von Objekten und die imaginär sich dahinter verbergenden Akteure, die sich in der Person des Künstlers verdichten. Er wird in dem Moment zum Brennpunkt des Geschehens als Performer, Musikrezipient und bildender Künstler, wobei er selten selbst in Erscheinung tritt. Bruce Nauman hat in seinen „Corridor“- Arbeiten ebenfalls mit der unüblichen Kombination von vertrauten Elementen gearbeitet. Seine Untersuchung galt dem Raum wie auch dem darin sich befindlichen menschlichen Subjekt, das sowohl real im Raum vorhanden war, als auch in seiner medialen Dimension im Videobild wiederkehrte. „Get Out of My Mind Get Out of This Room“ von 1968 nannte Nauman eine seiner „Corridor“-Installationen, bei der Lautsprecher in die weißen Wände eingelassen waren. Der Eintretende wurde mit der Forderung empfangen: Geh mir aus dem Sinn, geh raus aus diesem Raum. Nauman selber sprach diese Worte in unterschiedlichen Tonlagen und Geschwindigkeiten. Die Subjektivierung des Raumes einerseits und die körperliche Absenz des Künstlers bei gleichzeitiger psychischer Aufladung des Raumes andererseits, waren das Ergebnis. Sphären wie Innen und Außen oder Subjekt und Raum werden hier verkehrt. Gumhold geht in ähnlicher Weise vor, indem er vertauscht und vermischt, den Betrachter subtil mit einbindet, ihm trotz meist fehlender direkter Präsenz begegnet und ihn rasch wieder in die nächste Ebene der Verwirrung entlässt. Vieles ist vertraut, das meiste glaubt man zu kennen, jedoch muss man weit hinter das Sichtbare gelangen, um Aufschluss bekommen zu können. Das „Roue“ von Duchamp dreht sich zwar noch, es hat jedoch eine Deformation erfahren – einen „Achter“ bekommen. Möglicherweise hat es unter der Last der Rezeption gelitten, wie die Designikonen von Marcel Breuer. Auch sie wurden einem „Tuning“ unterzogen und aus billigsten Latten und Bretterholz nachgebaut.
In seiner aktuellsten Ausstellung bei Georg Kargl Fine Arts in Wien baut Gumhold einen sieben Meter langen und zwei Meter hohen Korridor bestehend aus Musikkassetten auf. „Presence“ und „Place“ – zentrale Forderungen der Minimal Art – werden hier variiert. Naumans „Concrete Tape Recorder Piece“ von 1968 bietet sich bei dem Kassettenkorridor – eine Abwandlung der Kassettendecke, die Gumhold im Studio der Neuen Galerie 2007 zeigte – als Referenz an. Der stumme Betonblock Naumans, der angeblich ein Tonband enthält, das einen menschlichen Schrei abspielt, lässt die Erinnerung an das Akustische im Visuellen bestehen und fordert den Betrachter heraus, sich in Bereiche einzulassen, die einer unmittelbaren Wahrnehmung entzogen sind. Cage folgend ist die Musik verstummt. Naumans Betonkubus hat letztlich auch die Minimal Music verstummen lassen – nur das Kabel lässt noch die Vermutung auf Akustisches zu.
Es ist nicht verwunderlich, dass Michael Gumhold bei Phil Spectors „Wall of Sound“ ankommt. „PHIL“ schreibt der Künstler in meterhohen Lettern ans Ende der Wand, die sich am Ende des Kassettenkorridors befindet. Diese Buchstaben sind auch aus Musikkassetten zusammengefügt und machen die Wand zur „Wall of Sound“. Spectors Hall-Türme waren höher als die Bienenkorb-Frisuren der Ronettes-Sängerinnen (skulptural betrachtet). Weniger Phil Spectors klangtechnische Innovation, bei der dieser zu Beginn der 1960er Jahre dreidimensionale Soundgebilde mit Hilfe des „Reverb-Effektes“ erzeugte, sind es, die Gumhold begeistern. Es ist eher die Begrifflichkeit, die plötzlich die eigene künstlerische Praxis zu definieren hilft, die ihn dabei interessiert. Musik ist nicht nur akustisch wahrnehmbar. Selbst im allgemeinen Sprachgebrauch verwenden wir Begriffe wie „räumlich“ und „plastisch“, um Töne zu beschreiben. Somit hat Michael Gumhold John Cages Stille gut genutzt und den frei gewordenen Raum ideal möbliert.

Günther Holler-Schuster

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